Dimitar (2. Reihe von oben, 2. von rechts, mit Brille) mit anderen Medinzin-Studenten an der Universität Heidelberg
Noch vor wenigen Monaten stand ich mitten in den Abiturvorbereitungen am Galabov-Gymnasium. Alles war wohlgeordnet, die Unterrichtsstunden, die Vorbereitung auf das Abitur und das Deutsche Sprachdiplom der KMK. Zwar hatte ich nicht das Glück in einer der beiden Leistungsklassen auch Mathematik, Biologie und Chemie in deutscher Sprache zu erleben, was für mein Studium wertvoll gewesen wäre, doch es gab gerade in dieser Zeit zwei andere Ereignisse, die für mich von großer Bedeutung werden sollten. Jedes für sich war höchst unwahrscheinlich, dass beide zusammenkamen und meinen Lebensweg positiv beeinflussten kommt mir heute noch immer wie ein Wunder vor.
Das erste: Ein deutscher Nobelpreisträger besuchte unsere Schule. Das passiert sicher nur an ganz wenigen Auslandschulen. Der Heidelberger Professor Harald zur Hausen hatte
Der deutsche Medizin-Nobelpreisträger Harald zur Hausen besuchte 2011 das Galabov-Gymnasium – eine Sternstunde! Dimitar war dabei (hinten, Mitte – roter Pullover)
2008 den Nobelpreis für Medizin erhalten für seine bahnbrechenden Forschungen in der Onkologie. Er hat über Jahrzehnte das Heidelberger Krebsforschungszentrum aufgebaut und ihm ist es zu verdanken, dass es heute eine Impfung gegen den Gebärmutterhalskrebs gibt. Ich wusste von ihm und seinen Arbeiten, weil ich schon viel in meiner Freizeit über Medizin gelesen hatte – und nun sollte ich ihn persönlich erleben! Vor den Schülern des Abschlussjahrgangs sprach er über sein Leben, seinen Werdegang in der Krebsforschung und darüber wie man mit Ausdauer und Überzeugung Hindernisse überwinden kann. Das hat mich tief beeindruckt und in meiner Entscheidung bestärkt, selbst in die Krebsforschung zu gehen.
Der Wunsch Medizin zu studieren und dazu beizutragen, dass krankheitsbedingtes Leid verringert wird, ist tief in mir verwurzelt. Ich war zehn Jahre alt als mein Vater infolge einer misslungenen Hirnoperation verstarb. Die Tragödie wirkte sich verheerend auf mich und meine Familie aus und weihte mich auf eine grausame Weise in eine der größten, aber trotzdem am schwierigsten beizubringenden Wahrheiten des Lebens ein: Das Leben ist ungeheuerlich zart und zugleich absolut unschätzbar.
Medizin braucht aber nicht nur Verständnis für fremder Menschen Leid und humane Beziehung. Sie ist auch mit enormen intellektuellen Bemühungen verbunden. Um mir eine stabile Basis für mein künftiges Studium zu sichern, wählte ich in der Schule Biologie und Chemie und beteiligte mich an einem Biologieclub. Ich arbeitete zielgerichtet und systematisch und strebte immer danach, meine Kenntnisse zu erweitern und weiter zu vertiefen. Das schaffe ich, indem ich mich nie mit dem Schulwissen aus den Lehrbüchern begnügte, sondern nach Nebeninformationen in der deutsch- und englischsprachigen Wissenschaftspresse (Bild der Wissenschaft, Medical Tribüne, Research GATE) suchte. Außerdem erzielte ich viele Erfolge in den Naturwissenschaften, z. B. bei Olympiaden und Wettbewerben: 2009 erreichte ich die Nationalstufe der Deutscholympiade, 2010 nahm ich an der Schulstufe der Biologie- und Chemieolympiaden teil und erreichte die Bezirksstufe der Biologieolympiade. Zu meinen größten Erfolgen zählt die Teilnahme an einem von der Communitas Foundation organisierten Wettbewerb, weil ich mit meinem Essay in Biologie und einem Referat zu einem naturwissenschaftlichen Thema ein Stipendium von 350 Euro gewann, den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und die Chance bemerkenswerte Wissenschaftler Bulgariens zu sprechen. Nachdem ich aber 2009-2010 für fünf Monate Vorlesungen in der Medizinischen Universität in Sofia besucht hatte, fing ich ernsthaft an, mich mit meiner Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung für den Studiengang Medizin zu beschäftigen.
Mein Wunsch, immer gut über die letzten medizinischen und technologischen Errungenschafteninformiert zu sein, brachte die Erkenntnis, dass Deutschland in der Spitzengruppe der forschenden Staaten liegt. Die Bundesrepublik verfügt über Spitzenuniversitäten, wo Forschung und Ausbildung aufblühen und wo sich Studenten gut betreut fühlen. Innerhalb der Humanmedizin weiß ich schon jetzt, dass ich mich auf Onkologie spezialisiere und mich der Krebsbekämpfung widmen werde – am liebsten am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg, das unter zur Hausen ein Förderprogramm für Nachwuchsforscher eingerichtet hat. Ein attraktiver Forschungsschwerpunkt sind derzeit molekulare Krebsmarker. Diese sind meist Glykoproteine, deren Konzentration im Blutserum z.B. für eine Krebsentwicklung kennzeichnend ist. Genau das reizte mich an Heidelberg als Studienstandort: die Möglichkeit, neben einer exzellenten medizinischen Ausbildung (im Rahmen der HeiCuMed) auch zu forschen. Außerdem wird hier die Krebstherapie im Studiengang Medizin besonders geachtet, sie gehört zu den richtungweisenden Entwicklungen der deutschen Forschung. Heilung durch Wissenschaft heißt mein Anspruch, und ich hoffe, ich werde die hohen Heidelberger Ansprüche erfüllen.
Das zweite wichtige Ereignis, das meine berufliche Entwicklung und damit mein Leben prägen wird, war das Glück, ein Vollstipendium des DAAD zu erhalten. Da meine Mutter alleinerziehend ist und ein Nebenjob mit einem anspruchsvollen Studium in einem fremden Land kaum vereinbar, hat mir dies Möglichkeit auch das finanzielle Geländer für meinen Lebensweg gegeben, der mich vom Galabov-Gymnasium tatsächlich nach Heidelberg geführt hat.
Als ich drei Monate nach meinem Abitur am Galabov-Gymnasium in Heidelberg ankam, hatte ich keine Ahnung wie mein künftiges Leben als Student an der Ruprecht-Karls-Universität 5 Monate aussehen und wie viel ich mich in dieser Zeit verändern würde. Ich stellte mir vor, dass von nun an mein Leben vom Lernen geprägt sei. Doch es kam anders. Die erste Herausforderung, die ich zu bewältigen hatte, war viel mehr mit dem alltäglichen Leben verbunden. Ich hatte eine Woche bevor ich nach Deutschland kam, mit dem Hausmeister des Wohnheims gesprochen, weil ich zum Einzug einen Schlüssel brauchte. Mit meinen zwei Koffern ausgerüstet nahm ich ein Taxi und kam trotzdem 10 Minuten zu spät zu meinem Einzugstermin. Da es nur wenige Termine gab, zu denen man einziehen konnte, war ich angespannt. Der Hausmeister kam aber auch eine halbe Stunde später und nachdem er sich entschuldigt hatte, hieß er mich sehr herzlich willkommen. Ich habe diesen Augenblick behalten, weil er mir vom Anfang an zeigte, dass ich Menschen und nicht Automaten gegenüber habe – auch in meinem neuen zu Hause.
Da ich einer der ersten war, der im Herbst 2011 aus Bulgarien übersiedelte, musste ich meine ganze Fantasie in die Tat umsetzen, um irgendwie die Wochen vor Vorlesungsbeginn zu verbringen. Ich beschloss die außerschulischen vom Universitätsamt organisierten Seminare zu besuchen und möglichst viel von meinem Studienplatz zu erfahren. Dabei entdeckte ich, wie sehr es darauf ankommt, sich selbst zu informieren und selbst die Initiative zu ergreifen. Daneben lernte ich in diesen ersten Wochen, dass gute Beziehungen und Freunde, auf die man sich verlassen kann, absolut notwendig sind, sonst ist man so gut wie verloren.
Vorlesungsbeginn war der 10. Oktober und sechs Tage früher fand die sogenannte „Ersti-Woche“ statt. In sechs Tagen erfuhren die wichtigsten Informationen über die ersten Semester und hörten Vorlesungen von Medizinstudenten höherer Semester. Unser Studium ist in einen vorklinischen und einen klinischen Teil gegliedert und nach jedem von diesen zwei Großteilen muss man eine ärztliche Prüfung, das Physikum bzw. das „Hammerexamen“ ablegen und natürlich bestehen. Zwei wichtige Voraussetzungen, damit man zum Physikum zugelassen wird, sind das Krankenpflegepraktikum und der Notfallkurs. Außerdem muss man noch ein Semester lang ein benotetes Wahlfach belegen. Glücklicherweise steht am Ende die Note gemeinsam mit der Physikum-Note auf dem Zeugnis. Beliebte Wahlfächer in Heidelberg sind Sprachkurse, virtuelle Anatomie, Geschichte der Medizin oder die viel kompliziertere Biochemie der tropischen Krankheiten. Dabei muss man berücksichtigen, dass man am Ende des Wahlkursus eine Klausur schreiben oder sonst eine Leistung erbringen muss, z.B. in Form eines Vortrags oder Referats um den benoteten Schein zu bekommen. Es ist auch nicht notwendig (und ist auch nicht möglich) diese ergänzende Studienleistungen im ersten oder sogar im zweiten Fachsemester unter einen Hut zu kriegen, da der Lehrplan für die Pflichtfächer besonders knapp entstellt ist. Trotzdem habe ich schon den Notfallkurs belegt.
In der „Ersti-Woche“ habe ich viele neue Gesichter kennengelernt, deren Namen aber wieder schnell vergessen. Besonders interessant fand ich die schnelle Bildung von Gruppen der deutschen Studierenden je nach Region oder früherer Bekanntschaft. Das bereitete ziemlich große Schwierigkeiten für mich und die andere Leute aus Bulgarien, da die Integration, wie ich schon erwähnt habe, lebensrettend ist. Obwohl ich im Moment, in dem ich das schreibe, viele deutsche Freunde habe, denke ich immer noch, dass die Mehrheit der Deutschen im Gegensatz zu den Österreichern am Anfang ein bisschen distanziert und ignorierend waren.
Und so ging es los. Die erste große Hürde war ein Parcourtestat in Osteologie und allgemeine Anatomie zwei Wochen nach dem Vorlesungsbeginn. Niemals zuvor in meinem Leben habe ich so eine große Panik gekriegt. Es ging um die ersten 200 Seiten aus dem Prometheus-Atlas. Alle Begriffe in der Anatomie sind nach den Regeln der Nomina anatomica aufgestellt, also auf Latein, eine Sprache, von der ich so gut wie keine Ahnung hatte. Ich habe Tag und Nacht nur noch Begriffe gelernt, trotzdem schaffte ich es erst am Abend vor dem Parcours. Dabei bietet die Uni Heidelberg eine sehr solide Prüfungsvorbereitung an. Sie beinhaltet mindestens zwei große Repetitorien und zwei Probeprüfungen vor jeder wichtigen Klausur. In der Regel hat man im ersten Fachsemester 2 schriftliche und 3 mündliche Testate in Makroskopische Anatomie und eine schriftliche Klausur in Terminologie abzulegen. Wir haben keine Semesterferien, da in dieser Zeit unser Chemiepraktikum mit sechs Chemie-Testaten stattfindet.
Die zweite große Hürde war der Präparationskurs. In Heidelberg verläuft er parallel zur Makroskopischen Anatomie. Das heißt dass wir die einzigartige Chance hatten, Anatomie an der Leiche zu erlernen. Ich hatte vor dem Kurs große Sorgen, denn man ist nämlich nicht täglich mit einer Leiche konfrontiert. Alles spielte sich aber ein, und nach zwei Wochen war der „Präpkurs“ schon Routine. Um Besteck und Kittel muss man sich nicht kümmern, weil dafür der SEG-MED, die studentische Einkaufsgemeinschaft, zuständig ist. Im Präpkurs waren wir auf verschiedene Tische aufgeteilt, jeder von denen von zwei Präpassistenten und einem Tischdozenten geleitet wird. Für den ganzen Präpsaal sind vier Saal-Tutoren verantwortlich. Nach dem ersten Semester kann man sich schon selber als Präp-Assistent oder Saal-Tutor bewerben und wenn man ausgewählt wird, hat man die Chance die Anatomie bis zum Physikum an der Leiche neben den „Erstis“, die Anfänger genannt werden, zu wiederholen.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist das Ausländer-Tutorium. Das ist wieder eine Form von Prüfungsvorbereitung, die jedoch ausländische Studierenden veranstalten und für ausländische Studierende vorgesehen ist. Das bedeutet weitaus nicht, dass es nur Ausländer besuchen dürfen. In angenehmer Atmosphäre besprechen wir normalerweise abends zweimal in der Woche den Lernstoff und bekommen Tipps, worauf wir besondere Aufmerksamkeit richten müssen. Ich muss zugeben, dass für mich dieses Tutorium besonders hilfreich war und dass die internationale Mischung von Leuten im Tutorium jetzt meine besten Freunde sind.
Heidelberg ist auch wegen der Nebeninitiativen unter den Studenten hoch geschätzt. Neben dem Ausländertutorium sind auch die Anatomie am Lebenden (AAL) und das problemorientierte Lernen (POL) Angebote der Universität. Diese Pflichtveranstaltungen geben erste Blicke in der Arbeit mit echten Patienten. Man lernt, wie man eine Untersuchung richtig macht, wie man mit dem Stethoskop umgeht, auf welche Geräusche man achten muss, wie man eine Auskultation oder Palpation durchführt. Beim „HeiPrax“ hat man sogar die Möglichkeit für einen Tag in einer echten Arztpraxis tätig zu werden, Fragen zu stellen, einen Lungenbefund zu machen und vielleicht auch eine eigene Diagnose zu erstellen.
Zum Schluss möchte ich nur noch sagen, dass der erste Semester die spannendste Zeit meines bisherigen Lebens war. Obwohl es sehr schwierig ist, habe ich nie gedacht aufzugeben. Ganz im Gegenteil, je komplizierter es wird, desto motivierter fühle ich mich, mein Wert nachzuweisen. Ich schätze auch, dass ich mich persönlich verändert habe. Jetzt betrachte ich die Menschen von einem ganz anderen Gesichtspunkt, viel unterschiedlicher als zuvor. Viel humaner und menschenwürdiger. Ich lerne sechs Tage in der Woche und kann mir nur wenige „freie“ Stunden leisten, trotzdem fühle ich dass ich näher an den Menschen bin als je zuvor. Für alle ist klar, dass die Medizin eine Reise durch alle Naturwissenschaften ist. Viele vergessen aber, dass diese Reise auch zu den Menschen führt.
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Interview:
Am schwierigsten fand ich mich an das Lerntempo anzupassen.
Es war auch relativ kompliziert, eine passende Wohnung zu finden, und mit meinem Mitbewohner zurechtzukommen.
Meine Schulzeit liegt gar nicht so weit von mir. Im Vergleich zu jetzt aber, denke ich, dass wir es leicht hatten. Unverschämt leicht. Es gibt vieles, wovon ich bisher nie in meinem Leben gehört habe. Man stößt jedoch manchmal auch auf Bekanntes. Ich würde es lieber haben, wenn der Unterricht im bulgarischen Schulsystem mehr mit dem deutschen Unterricht zu tun hätte. Denn jetzt muss ich einerseits vieles nachholen, und zwar mit dem, was man im deutschen Ausbildungssystem erlernt, andererseits kriegt man im bulgarischen Schulsystem Fachwissen.
Und Fachwissen hilft sehr.
Wie ich schon im oberen Punkt erwähnt habe, ist mir jetzt das Wissen von Bio-, Chemie- und Physikunterricht sehr behilflich. Das Wichtigste, das mir die Schule gab, würde ich folgenderweise beschreiben: Die Schule hat mir beigebracht, dass Erfolg und persönlicher Fortschritt an den Menschen selbst liegen. Es hängt unglaublich viel davon ab, ob man tatsächlich motiviert ist und ob man zeigen kann, dass man Ziele hat. Motivation hängt auch unabdingbar mit dem Glauben an die eigene Kräfte zusammen, den man früh in der Schule aufzubauen beginnt. Er und alles, was damit zusammenhängt z. B. Einstellung, sind nämlich für den zukünftigen Fortschritt bestimmend. Und der dritte Punkt wäre nämlich die Bedeutung der Teamarbeit. Wenn es jemand bisher alleine geschafft hat, muss er darauf verzichten und sich umstellen. Die guten Beziehungen zu den Kommilitonen sind hier wichtig.
Ich kann wider leider nichts Universales empfehlen, denn jeder empfindet den Wechsel auf seine eigene Art und Weise. Meiner Meinung nach ist dieser Wechsel nicht besonders schwer. Es stimmt aber auch, dass ich mit noch 2 Mitschülern aus dem Galabov Gymnasium studiere. Ein Tipp von mir für alle, die in Zukunft nach Deutschland mit dem Ziel „Studium“ kommen: Keine Panik! Häufig erledigen sich die kompliziertesten Situationen von selbst. Das bedeutet aber auf gar keinen Fall, dass man einfach stehen und warten muss. „Aktiv-Sein“ heißt es und „immer fragen“, was nicht klar ist. Die Dozenten, die Assistenten, die Tutoren sind meistens äußerst nett und hilfsbereit, solange man lernt. Auch wenn man lernt und Schwierigkeiten hat, erklären sie es einem – sogar persönlich. Ein weiterer Tipp: Sehr gut in der Schule aufpassen. Alles was dran kommt, haben wir schon zumindest einmal im Schulunterricht angesprochen. Der reicht, damit man eine feste Basis hat. Hat man diese Basis, dann ist es leicht auch neue, komplizierte Informationen und Zusammenhänge in der Uni zu verstehen und sich einzuprägen. Und letzter dritter Tipp: Seid bereit für sehr viel Arbeit. Wer besser als „gut“ sein will, muss das verstehen.
Ja, jeder Wechsel führt zu Veränderung. Ich habe mich insoweit verändert, als ich, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Kräfte und Gesetze die das Leben steuern besser verstehe. Man denkt Leben ist etwas Unbestimmtes, Ungenaues und Unbeschreibbares. Meines Erachtens ist es das nicht. Mehr dazu werde ich nicht sagen. Ich habe viele interessante Erfahrungen gesammelt. Ich habe so viele Menschen kennengelernt und so viele verschiedene Motive und Persönlichkeiten gesehen, dass ich „gezwungen“ werde, sie alle zu akzeptieren. Und ich akzeptiere sie eigentlich alle und schätze sie hoch. Es stellt sich am Ende heraus, dass es im Medizinstudium um viel mehr geht als um Naturwissenschaftenlernen.
Alles ist, wie es ist. Ich habe das Beste für die konkrete Situation gemacht, indem ich auf meine Weise gehandelt habe. Das bedeutet dass meine Handlungen das Ergebnis meiner Persönlichkeit sind. Wenn ich etwas damals anders gemacht hätte, dann würde ich mit mir selbst anfangen. Das ist aber unmöglich, deshalb beginne ich von jetzt. Ich würde mich vielleicht mehr für Menschen interessiert haben.
Mir mangelt es an sozialer Kompetenz.
Ich habe mir nie vorgestellt dass es leicht sein wird und bin auf keinen Fall enttäuscht. Als ich vor einem Jahr das Bewerbungsessay schrieb, war alles nur eine Idee, eine Vorstellung, ein Ideal. Mir war schon damals klar, dass Ideale im echten Leben nicht vorkommen können. Sie sind aber nötig, damit wir einen Plan im Kopf haben, nach dem wir unser reales Leben strukturieren. Im Allgemeinen existieren bei mir die beiden Realitäten gleichzeitig. Und ich kann auch erklären warum das sein muss und warum es normal ist. Man macht immer etwas, nachdem man sich etwas zuerst gewünscht und dann vorgestellt hat. Das heißt dass man stets ein Bild, von dem was sein muss, vor sich hat. Wenn wir unser Leben durch die Kraft unseres Willens und Vorstellungsvermögens lenken können, dann müssen wir brauchen wir die Träume und Ideale – als Leitsterne. Bei mir ist alles seit einem Jahr unverändert geblieben.
Ich habe meine Verbindung zu Bulgarien gar nicht abgebrochen. Ich weiß Bescheid, was in meinem Heimatland passiert, obwohl ich keinen deutlichen Unterschied bemerke zu der Zeit in Bulgarien. Das ist aber jetzt kein drängendes Thema. Ja, ich vermisse natürlich meine Familie. Aber sie wissen, dass ich hier mit einem guten Ziel hergekommen bin und machen sich keine großen Sorgen um mich. Mir fehlt auch das Gefühl betreut zu sein. Ich muss mich alleine um alles kümmern, damit alles planmäßig abläuft. Ich muss ordentlich und organisiert sein, was mir auch manchmal schwer fällt. Mir fehlt das Gefühl kein Ausländer zu sein. Ich vermisse sozusagen nicht Bulgarien als meine Heimat, sondern meine Heimat, die Selbstverständlichkeit des Normalen. Ich meine ich bin hierher als Gast gekommen, der Gast muss aber die Lebensweise des Wirts beachten.
Meine Mutter freut sich natürlich, dass ich mich auf einem Weg befinde und unterstützt mich. Sie ist jedoch im Vergleich zu mir nicht so fest überzeugt dass dieser der richtige Weg für mich ist. Wir erfahren später, wer recht hat.
Ich bin Bulgare, egal wo ich bin. Ich diskutiere nicht nur mit meinen bulgarischen Kommilitonen über Bulgarien, sondern auch mit meinen deutschen und habe einige interessante Meinungen zwischendurch gesammelt. Ich komme insgesamt zweimal in diesem Jahr heim. Einmal war ich schon während der Winterferien zu Hause, mir steht jetzt bevor zu Ostern zu Besuch zu kommen. Ob ich im Sommer wieder komme, steht noch nicht fest. Mediziner müssen ganz viele Dinge in möglichst kurzer Zeit erledigen. Als ich in die Universität Heidelberg immatrikulierte sind meine Mutter und mein Bruder mit mir nach Heidelberg gefahren. Ihnen gefällt diese wunderschöne Stadt sehr gut.
Vielen Dank, Dimitar – und weiterhin alles Gute!