Es war Ende November als ich mit meinem Studium Schluss gemacht habe und mir etwas Zeit zum Nachdenken und Ruhe genommen habe. Ich habe sofort Herrn Kruczinna angeschrieben und er hat mir wie immer eine grosse Ermutigung und Unterstützung geleistet. Ich musste nun einen Brainstorming machen und nachdenken, was ich wirklich von meinem Leben in den nächsten Monaten erwarte. Ich wusste nur eines mit Sicherheit- ich hatte einen Mietvertrag bis Ende März 2013 und sollte bis dann in München bleiben. Alles Andere war mir bis zu diesem Moment unklar und das Risiko in Verzweiflung zu geraten war sehr hoch. Allmählich begriff ich, dass ich meine Studienwahl zu übereilt getroffen habe und nicht wirklich Zeit hatte, nach dem Abi-Stress ruhig zu atmen. Ich war mit einem deutschen Zeugnis mit 1,2 ein sehr guter Schüler, muss aber jetzt zugeben, dass das alles seinen Preis hatte- das Bedürfnis nach Zeit danach für Selbstreflektion.
Im Dezember 2012 schien mir diese Zeit zum Nachdenken immer noch erreichbar und ich habe angefangen zu recherchieren. Die beste Möglichkeit, die ich für mich herausgefunden habe, war die Freiwilligenarbeit in einem fremden Land (darunter meine ich nicht Deutschland, Österreich oder die Schweiz). Ehrenamtlich zu arbeiten heisst oft grosse Dosis Idealismus bei den Aktivitäten zu haben und nicht unbedingt einen materiellen Verdienst anzustreben. Ausserdem ist so eine Arbeit im Ausland fast immer mit viel Bürokratie und Planung verbunden. Ich wusste zumindest, dass ich mich mit Umwelt und sozialen Themen beschäftigen wollte. Dabei bin ich auf den EFD (Europäischen Freiwilligen-Dienst) gestossen. Das ist ein Programm der EU, das jungen Menschen (unter 30) eine Auslanderfahrung bei einer Non-profit-Organisation ermöglicht. Dabei gibt es wie erwartet mehr Kandidaten als angebotene Stellen und es besteht ein schwieriger Bewerbungsprozess. Das konnte bei meinem Unternehmen die nächste Station für Verzweiflung sein, weil hier lange stilspezifische Motivationsschreiben, grosse Wartezeiten und hohe Ablehnungsquote relativ häufig vorkommen. Ich habe aber letztes Jahr das alles bei meiner gescheiterten Bewerbung für ein Freiwilliges Jahr erlebt und war entschlossen für eine zweite (diesmal erfolgreiche) Runde. Es waren vielleicht mehr als 30 Motivationsschreiben und genau so viele Lebensläufe, die ich an diverse NPOs in Italien verschickt habe, wo ich eigentlich arbeiten wollte. Das Endergebnis des Verfahrens wäre mir erst Mitte April 2013 bekannt gegeben. Man kann sich also vorstellen, wie lange man aushalten muss bis man weiss, ob es überhaupt noch klappt.
In der Zwischenzeit habe ich eine Arbeitsbeschäftigung aufgenommen, weil meine Eltern nicht mehr in der Lage waren, meinen Unterhalt zu bezahlen. Ich war bei dem grössten Gastronomie-Unternehmen in München als Spüler tätig, einen Beruf, den man sich vielleicht zuvor als fleissiger Leistungsklasse-Schüler nicht vorstellen könnte.
Unerwartet kam dann in Januar 2013 eine Nachricht in meine Post: ich wurde für ein soziales Projekt in Italien im Voraus ausgewählt und hätte grosse Chancen, in September 2013 mit den Tätigkeiten anzufangen. Eine schlichte Erleichterung und Freude umarmten mich dann und trieben mich weiter. Nun ergab sich eine andere Frage: Was werde ich in der Zeit zwischen März und September machen? Ich habe mir überlegt, nach Bulgarien zurückzukehren oder nach Praktika in Deutschland zu suchen. Dann kam ich auf die Seite workaway.info, wo ich mich vor 2 Jahren registriert hatte. Diese ermöglicht einen weltweiten Austausch zwischen verschiedenen Öko- Bauernhöfen und Freiwilligenarbeitern. Dabei muss man selbst nur die Fahrkosten zum Standort übernehmen und bekommt Kost und Unterkunft umsonst. Dies schien mir eine gute Möglichkeit, die Periode von circa 5 Monaten zu überbrücken und mich informell auf mein grosses Projekt im September vorzubereiten.
Anfang März 2013 wurde ich von einem Bauernhof in Mantua, Italien angeschrieben. Der Mann, der diesen führt, betreibt dort seit 16 Jahren Ausbildung von kleinen Schülern und zeigt ihnen das Leben auf dem Hof. Mir schien die gebotene Stelle interessant, jedoch war ich wegen des Unbekannten, das mich da nur in einem Monat erwarten würde, aufgeregt.
Mein letzter Arbeitstag kam und ich packte nun meinen 99 Liter- grossen Rucksack in der ersten Woche vom April 2013. Zuvor habe ich durch einen Teil meines Gehaltes die nötige Ausrüstung für eine Wanderung und eine dauerhafte Reise aus dem Internet besorgt. Darunter zu erwähnen: mein Gaskocher, mein Zelt und mein Schlafsack. Viel vorgeplant war meine eigene Italien- Reise nicht. Eigentlich habe ich am vorigen Tag vor der Abfahrt mit meiner besten Freundin aus dem Galabov, Vassilena Jankov, die Strassenkarte von Italien gekauft. Für mich hiess es ab dem 7. April nur: in den Zug nach Verona einsteigen, in den Zug nach Mantua umsteigen und von dann ab trampen, bis ich den Bauernhof erreicht habe.
Hier werde ich fast anderthalb Monate verbringen. Es ist quasi das Ende meiner dritten Woche in Corte Galvagnina ( so der Name des Bauernhofes) als ich diesen Bericht schreibe. Ich habe genug erlebt, um kurz meine bisherige workaway-Erfahrung zu schildern: jeder Tag ist eine Herausforderung und man lernt, mit viel Gelassenheit und Geduld umzugehen. Die Sprache war für mich nicht ein besonderes Hindernis bei der Kommunikation, weil ich Vorkenntnisse besitze und gerne weiterbaue. Viel mehr waren es am Anfang die Aktivitäten mit den Kindern, die mich berührt haben: man darf mit den Kleinen keinen Moment versäumen und keine Fragen unbeantwortet lassen – eine Tatsache, die ich als ehemaliges Kind offensichtlich längst vergessen habe. Allmählich habe ich mich an die kleinen Schüler gewöhnt und fand eine gemeinsame Sprache mit ihnen. Wir stellen Brot her, vom Zermahlen des Weizens bis zum Backen des Teigs, kochen Käse und machen Butter aus der Milch. Ausser den sozialen Fähigkeiten, die ich in mein Leben neugeführt habe, habe ich auch viele rein praktische Sachen gelernt: Wie man z.B. einen Traktor führt oder einen einfachen Öko-Landbau anlegt.
Nach diesem Bauernhof geht es Mitte Mai bei mir ab in die Toskana. Dort werde ich einer Frau bei dem Bau eines Yoga-Zentrums helfen.
Aus meinem ganzen Weg bis jetzt habe ich vor allem gelernt, Neues und Unbekanntes willkommen zu heissen. Ich wurde mit unglaublichen Ängsten konfrontiert, stand oft vor den Pforten der Einsamkeit (weil niemand in meinem Umkreis eine ähnliche „Lebensreise“ gemacht hatte) und sollte selbst meine Zukunft planen. Dazu kam noch die Tatsache, dass sich meine Familie grosse Sorgen gemacht und eine zusätzliche Herausforderung dargestellt hatte. Der Abbruch des Studiums, die Arbeit als Spüler, mein Aufbruch von München und meine eigen initiierte Reise durch Italien haben einen Sammelbegriff: SELBSTÜBERWINDUNG. Das, was leider an kaum einer Schule gelernt werden kann, was eher eine Sache der Lebenserfahrung ist. Dadurch, dass ich mich plötzlich in einer völlig neuen Kultur befinde und nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suche, haben sich mein Lebensgefühl und meine Forschungsneugierde wiederbelebt.
Man sagt, dass das Leben nur dann ein Leben ist, wenn man unterwegs ist. Und wie ihr bereits auch von mir wisst: “ Jede Reise beginnt mit einem einfachen Schritt“ .
Marko Markov,
Den 25.04.2013
Aus Mantua, Italien
Hier sind zu allen Bildern kurze Beschreibungen. Ich schreibe sie in der Reihenfolge auf, in der Sie bei Skydrive erscheinen:
1. Mit den Bambinis geben wir unseren Kühen, Lola und Nerina, frisches Gras zum Fressen.
2. Das Haus der Bauern, wo ich jetzt wohne. Erbaut 1620, zusammen mit den dazugehörigen Ställen, die auf dem Foto nicht zu sehen sind.
3. Schöner Sonnenuntergang auf dem Hof. Foto aufegnommen von unserem Baumhaus.
4. Ich, gelehnt an die Wand eines verlassenen Bauernhauses vom 19. Jh. Der Bauernhof heisst Corte Corrggioli. In Italien gibt es viele solche Orte, wo die Zeit stillgelegt zu sein scheint.
5. Ich
6.München: Mit einer bulgarischen Mitschülerin aus der Erich Kästner Schule geniessen wir unsere ersten Monate in München.
7. Frühling 2011. Foto von unserer Klasse nach dem Bulgarisch- Unterricht mit Frau Djaleva.
8. Mai 2012. Foto von unserer Klasse kurz vor der Absolvenz des Galabov Gymnasiums.
9. Mit den Kindern stellen wir selbst Mehl her. Alles scheint ihnen wie ein Wunder.
10. Unser handgemahlenes Mehl
11. Unsere Bröttchen und Grisini fast fertig zum Verzehren
12. Die Steine, mit denen wir die Weizenkörner zermahlen so, wie es die Menschen vor Tausenden von Jahren gemacht haben
Viele Grüsse und bis bald 🙂