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Newsbeitrag
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17.10.2011
Schule und Wirtschaft

Etwas völlig Neues entwickelt sich derzeit in Sofia, Bulgarien – noch dazu auf einem Gebiet, das oft vernachlässigt wird, weil es im Grenzbereich unterschiedlicher Welten und Zuständigkeiten liegt: Schule und Wirtschaft begegnen sich, loten Formen der Kooperation aus und praktizieren sie in völlig neuen Formen. Könnte hier auch ein Modell für andere Schulen entstehen? Vorgestellt werden sollen in diesem Artikel erste Schritte dieses Weges, der nicht nur für Schulen und Wirtschaftsunternehmen an Auslandsstandorten Impulse bietet, sondern auch für die Kooperation zwischen Schulen und Wirtschaft in Deutschland.

Oft wissen Schüler wenig von Wirtschaftsunternehmen vor Ort. Welche Produkte und Dienstleistungen  werden in meiner Heimatstadt hergestellt? Wohin fahren all die Menschen am Morgen, während ich zur Schule gehe? Woher stammen all die Steuergelder, mit denen u.a. auch meine Schule betrieben wird? Während diese Schüler mit großen Schritten auf ihre Berufs- oder Studienwahl zu marschieren, machen sich Kultusministerien, Universitäten und die Industrie- und Handelskammern Gedanken darüber, wie diese zukünftigen Mechatroniker, Dachdecker und Ingenieure zielsicher ihren Weg in den Beruf finden können. Erst mit der erfolgreichen Platzierung eines Schülers oder einer Schülerin in einer beruflichen oder universitären Ausbildung endet der Auftrag, den die Schulen in Deutschland seit geraumer Zeit übernommen haben. Darum gewinnen Partnerschaften von Schulen und Unternehmen immer mehr an Bedeutung.  Es geht nicht nur darum, Lehrstellen zu vermitteln und Studienwünsche zu präzisieren. Nein, es geht bei diesen Kooperationen um ein tiefes Verständnis zwischen Wirtschaft und Schule. Schon während der Schulausbildung sollen die Schüler und Schülerinnen die Anforderungen und Realitäten der regionalen Wirtschaftsunternehmen kennen lernen. Wie sieht eine Maschinenhalle am Vormittag aus? Fasziniert mich die Ordnung eines Hochregallagers? Wie reden Ingenieure untereinander? Wie funktioniert eine PET-Recyclinganlage? Sehe ich mich evtl. unter all diesen Versicherungsmathematikern? Bevor falsche Vorstellungen entstehen und daraus falsche Bewerbungen resultieren, sollen Schüler- und Schülerinnen schon während ihrer Schulausbildung die hohen Anforderungen der Wirtschaft kennenlernen. In Deutschland entstanden darum zwischen Schulen und Industrie- und Handelskammern zahlreiche Projekte, um Berufs- und Studienorientierung praxisnäher zu gestalten. Für die Schulen und Schüler ergeben sich daraus fruchtbringende Chancen:

– aktuellerer Unterricht

– Fachkompetenz kommt von außen in den Unterricht

– neue Lernorte in Betrieben entstehen

– die Verbindung des Fachunterrichtes mit ganzheitlichen Erfahrungen

– Projektunterricht

– Vertiefung der ökonomischen Grundbildung

– Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge

– soziale Erfahrungen

– Impulse für die Studien- und Berufswahl

– Bewerbungstrainings

– Auszubildende und Studenten berichten (peer to peer)

– Sponsoring

– Berufspraktika

In Deutschland arbeiten dafür die Schulen neben den Wirtschaftsunternehmen mit den Kommunen, der Agentur für Arbeit und den Industrie- und Handelskammern zusammen. Dazu kommen die akademischen Partner an den Hochschulen und Universitäten.

Da Wirtschaft und Schule nicht nur in Deutschland zusammenarbeiten müssen, um die wirtschaftliche Entwicklung der Region und des Landes zu forcieren, sind auch die deutschen Auslandsschulen aufgefordert, den Dialog von Wirtschaft und Schule vor Ort zu beginnen.

Das Technologiezentrum Sofia hatte die Idee des Galabov-Gymnasiums  in Sofia aufgegriffen, ein Programm „Schule und Wirtschaft“ zu starten. Diese Initiative,  vom Leiter der Deutschen Abteilung Rolf Kruczinna und seiner Stellvertreterin Petra Pompoes ausgelöst, soll dauerhaft allen Schülern des Gymnasiums den Zugang zu qualifizierten Informationen aus der Wirtschaft sichern.

Zusätzlich initiiert durch den IHK-Wettbewerb Schüler bauen weltweit Brücken, traf sich im Sommer 2011 dann die Schulleitung des deutschsprachigen Galabov-Gymnasiums in Sofia, Bulgarien mit Vertretern der deutschen Wirtschaft in Sofia. Unternehmer Horst Schmidt, von der Schmidt Consult Münster/Sofia, seit 30 Jahren im Land und Jürgen Eisele vom Technologiezentrum Sofia gaben den Startschuss für eine Zusammenarbeit. Wenige Tage später wurde zwischen dem Galabov-Gymnasium Sofia und dem Technologiezentrum Sofia bereits ein Kooperationsvertrag unterzeichnet. Das Technologiezentrum wird Kontakte zu Firmen und wissenschaftlichen Einrichtungen herstellen, mit dem Ziel den Schülern eine Plattform für Schule und Wirtschaft zu bieten.

Erstmals waren Galabov-Schüler bereits wenige Tage später im September 2011 zu Gast im Technologiezentrum Sofia, das sich als Brücke zwischen einheimischen und deutschen Wirtschaftsunternehmen versteht. Eingeladen waren Firmenvertreter, Teilnehmer vom bulgarischen Gemeindeverband und – erstmals auch bulgarische Schüler. Ziel war die Vorstellung einer Software, mit der Unternehmen überprüfen können, wie effizient sie mit ihrer Energie umgehen und wie sie Möglichkeiten prüfen können Energie einzusparen. Für die Galabov-Schüler ging es dabei neben dem Einblick in die Welt nach der Schule auch um die Frage: Kann man diese Software auch benutzen, um einen Untersuchungsbericht (Audit) zu erarbeiten, der helfen kann, in unserem Schulgebäude noch bewusster mit Energie umzugehen, Energie einzusparen und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Als Mitglieder der „Jugend forscht“-Arbeitsgruppe beschäftigen sie sich alle aktiv mit Projektarbeiten. Nach der Präsentation des Mitentwicklers Herrn Spirodonov, der auch seine Unterstützung für Schülerarbeiten anbot, wurde intensiv diskutiert (Foto). Dabei ging es um die Frage der Zusammenarbeit mit Firmen, um die Idee ein PC-Programm zu schreiben, um am Galabov-Gymnasium Energie zu sparen, den Vorschlag reflektierende Folien hinter die Heizkörper zu kleben, um Themenvorschläge für Jugend forscht-Arbeiten, um eine Projektarbeit über Windräder und um die Möglichkeit mit Wirtschaftsunternehmen eine Informationsreihe über „Grüne Energie“ durchzuführen – evtl. mit Experimenten. Im letzten Punkt ging es um die Vorbereitung auf einen Besuch der Technologie-Messe in Plovdiv. Erstmals wollen hier Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen und der Jugend forscht-Gruppe teilnehmen, um sich über wichtige deutsche und bulgarische Firmen zu informieren und Anregungen für Projektarbeiten, Studium und Berufschancen zu holen. Insgesamt haben sich schon 33 Schüler für diesen Messebesuch angemeldet. Dieser Besuch mit ausgewählten Schwerpunktfirmen wird ein weitere Chance sein, Schüler, Schule und Wirtschaft zusammenzuführen

Auf Einladung des Technologiezentrums Sofia wurde am 30. September 2011 die Internationale Industriemesse in Plovdiv besucht. 33 Schüler aus verschiedenen Klassen wurden in Kleingruppen aufgeteilt und ein entsprechender Messerundgang organisiert.  Die Gruppe unter Leitung von Horst Schmidt beschäftigte sich mit der Herstellung von Maschinen und Materialien für die Lebensmittelindustrie. Schnell wurde den Gymnasiasten klar, dass für die Maschinenteile, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen nur Material aus Edelstahl eingesetzt werden darf, das auch noch zertifiziert sein muss. Hohe Anforderungen an die Hygiene machen dies erforderlich. Die Funktionen Messen, Steuern, Regeln (MSR) verlangen heute den Einsatz von IT Spezialisten bei den Produzenten der Maschinen und in der Lebensmittel produzierenden Industrie.  Von den ausstellenden Firmen konnten die Schüler  im Original-Ton erfahren, dass es immer schwieriger wird, in Bulgarien die dafür erforderlichen Spezialisten zu finden.

Eine weitere Gruppe unter Leitung von Jürgen Eisele besuchte die Anbieter von alternativen Energien. Am Beispiel einer aufgebauten Photovoltaik-Anlage mit 15 KW elektrischer Leistung konnte auf dem Freigelände der Messe die aktuelle Stromproduktion verfolgt werden. Alle ausstellenden Solarfirmen vertreten die Auffassung, dass das Potential für Solarenergie in Bulgarien bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist.  Die gleiche Meinung vertreten die Hersteller von Biomasseanlagen. In Bulgarien steigt in den privaten Haushalten die Nachfrage nach Heizsystemen auf der Basis von Holzpellets. Diese Anlagen sind für Ein- und Mehrfamilienhäuser geeignet. Auch hier werden die Pellets automatisch aus einem Bunker zur Verbrennung  in den Ofen eingeführt, so dass ein ständiges persönliches Überwachen und Nachfüllen entfällt. Neben diesen Öfen, die in verschiedenen Größen am Stand der Firma ERATO besichtigt werden konnten,  gibt es auch große Kraftwerke, die Holzhackschnitzel verbrennen und zum Beispiel  in Größenordnungen von 5 MW  in Ihtiman und 10 MW  in Bansko thermische Energie erzeugen.

Eine weitere alternative Energieart konnte am Stand der Firma REHAU besichtigt werden. Hier wurde  den Gymnasiasten das Prinzip der Wärmepumpen vorgestellt, die in Bulgarien immer mehr nachgefragt werden. Mit einer Bohrung in eine Tiefe von rund 100 m lässt sich der Wärmebedarf  von kleinen und großen Gebäuden abdecken.

Alle vom Technologiezentrum Sofia geführten Gruppen konnten an Messeständen das Fachpersonal der Ausstellerfirmen befragen. Diese waren in zweifacher Hinsicht überrascht: zum einen, dass es eine Schule wagt geschlossen eine Messe zu besuchen und zum anderen über die qualifizierten Fragen der Schüler. Es war geradezu selbstverständlich, dass dafür die Maschinen und Ausstellungsstücke zur Demonstration für die Schüler in Gang gesetzt wurden.

Viele Aussteller haben die Schüler ermuntert, durchaus einen technischen Beruf zu ergreifen, da die bulgarische Industrie dringend Fachkräfte sucht.

Im Rahmen der Aktion „Schule und Wirtschaft“ wird das Galabov-Gymnasium in den kommenden Monaten Firmen zu Vorträgen in die Schule einladen und umgekehrt Betriebsbesichtigungen durchführen. Eingebunden in diese Aktion sind die Österreichische Handelskammer, die Deutsch-Bulgarische Handelskammer sowie die Bulgarisch-Schweizerische Handelskammer.  Es wird erwartet, dass über diesen organisatorischen Weg Praktikumsplätze und „Schnuppertage“ in den Firmen eingerichtet werden, um so den Schülerinnen und Schülern auch eine berufliche Orientierung zu geben , die ihnen helfen soll, den richtigen Beruf oder das richtige Studium zu ergreifen.

Zum Download:

Schule und Wirtschaft Text

Zum Bericht auf der Internetseite der Deutschen Botschaft Sofia:

hier klicken